5 - Audite manufactum - Von der Hand übers Papier aus dem Mund durchs Ohr ins Hirn/ClipID:56349 vorhergehender Clip

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von und mit Christoph Ackermann (UB) und Stefan Rieger (ZIWIS)

 

Prof. Dr. Eddie Stift und Prof. Dr. A.-B. Seite sind ausgewiesene Experten auf dem Gebiet des Schreibens, sind sich aber nicht immer einig über Inhalte, Methoden und Konsequenzen.

Rechtzeitig zum Beginn einer langen Nacht des Schreibens an der UB Erlangen treten sie immer wieder in einen spitzfindigen und wortklauberischen Dialog, um letztlich nur zum Schreiben zu animieren.

Wieder ist ein langes Jahr vergangen seit der letzten Langen Nacht des Schreibens. Noch immer streiten die beiden über Sinn und Unsinn von Schreiben und schreiben Lassen.

Aufnahme Datum 2025-03-06

Audite manufactum manuscriptum locutum est cum ore vere!

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Seite: Stift und Seite - Folge 5

Stift: Audite manufactum manuscriptum locutum est cum ore vere!

Seite: Hört das Selbsthandgeschriebene…

Stift: … ausgesprochen mündlich!.

Seite: Natürlich ausgesprochen mündlich. Schriftlich kann man es ja nicht hören.

Stift: Selbstverständlich kann man schreiben hören. Wenn der Stift (hihi, sic!, das bin ich) auf der Seite kratzt, der Füller seine Bahnen zieht, der Griffel greift, die Kreide beim Quietschen die Schülerschaft erkreidebleichen lässt…

Seite: Nun schwurbeln und quirlen Sie mal nicht so in Ihrer Textsuppe, Sie Buchstabenschaumschläger. Wir sind ja noch nicht einmal beim Untertitel der heutigen Sendung angekommen!

Stift: Nun denn: Willkommen, oh Ihr Freunde des klangvollen Chaos! Willkommen in der Werkstatt des Unsagbaren, in der Schmiede der Töne, in der akustischen Klinik für taube Seelen. Wir, die Meister des nicht geübten Wortes, begrüßen Sie bei: „Von der Hand übers Papier aus dem Mund durchs Ohr ins Hirn “ Ich bin Eddie Stift, euer Anästhesist im OP-Saal der Semantik, und mir gegenüber sitzt...

Seite: ...der immer noch ungeliebte, analog nörgelnde Prof. Dr. A.-B. Seite, Philosophie-Dilettant und Amateur-Ironiker. Stift, was für ein Thema heute! Von der Hand übers Papier aus dem Mund durchs Ohr ins Hirn – ein metaphorisches Trauerspiel, eine surreale Reise durch die Ruinen unserer Geistesgeschichte.

Stift: Eine Reise, die nicht endet. „Von der Hand ins Nichts“, könnte man sagen. Oder, wie es ein schlechter Werbeslogan formulieren würde: „Schrift ist der Soundtrack des Denkens.“ Aber fangen wir am Anfang an. Die Hand! Das erste Werkzeug der Menschheit, das Werkzeug, das uns Menschen erst zu Menschen gemacht hat. Oder etwa nicht? Ich frage Sie: Ist die Hand nicht die ewige Verräterin?

Seite: Natürlich ist sie das! Sie tut, was wir ihr befehlen – und gleichzeitig tut sie, was sie will. Eine Hand kann eine Liebkosung schenken, aber auch einen Dolch führen. Sie kann schöpfen, aber auch zerstören. Die Hand ist nichts weiter als der erste Ausdruck unserer Ambivalenz.

Stift: Ambivalenz ist ein hübsches Wort, Seite. Aber lassen Sie uns ehrlich sein: Die Hand ist nichts als ein stumpfes Werkzeug, ein Klotz mit Fingern. Eine fünfgliedrige Karikatur der Präzision! Und doch wird sie verherrlicht: Von Michelangelos „Hand Gottes“ bis hin zur zitternden Schreibhand eines Dichters.

Seite: Vergessen Sie nicht, dass die Hand auch Sklave ist. Sie ist das Werkzeug des Kopfes, der Diener der Gedanken. Was geschieht, wenn die Hand das Werkzeug niederlegt? Was passiert, wenn sie zum Blatt greift? Die weiße Fahne der Unschuld, die zur Bühne unserer Tragödien wird. Eddie, ich frage Sie: Was ist Papier anderes als der Friedhof unserer Gedanken?

Stift: Papier ist das letzte Zeugnis der vergänglichen Ideen, Seite. Es nimmt alles auf – das Schöne, das Hässliche, das Wahre und das Lügnerische. Papier ist ein stiller Zeuge, ein passiver Komplize unserer Kreativität und unserer Dummheit.

Seite: Und doch, Eddie, ist Papier ein Tyrann. Es zwingt uns, unsere Gedanken zu ordnen, unsere Chaosfragmente in Reihen zu bringen. Es fordert Struktur, wo nur Anarchie sein sollte.

Stift: Das stimmt, Seite. Aber Papier ist auch eine Illusion. Es täuscht uns vor, dass Worte Bestand haben, dass sie für die Ewigkeit sind. Dabei sind sie nur Tinte, die darauf wartet, zu verblassen. Papier ist das Grab der Worte.  Und dann kommt der Übergang, Seite. Dann nehmen die Worte, diese blassen Symbole auf dem toten Baum, Gestalt an. Sie springen vom Blatt ins Reich des Schalls.

Seite: Und hier beginnt die wahre Tragödie, Eddie. Denn Worte im Ohr sind wie Sand im Getriebe: Sie reiben, sie scheuern, sie zerstören. Das Ohr ist kein Freund der Worte, es ist ihr Henker.

Stift: Aber Seite, das Ohr ist doch auch ein Schöpfer. Es verwandelt Schall in Sinn. Es ist der Ort, an dem Klang zu Bedeutung wird. Ohne das Ohr wären Worte nichts weiter als unhörbare Schreie auf Papier.

Seite: Und doch ist das Ohr ein Verräter. Es hört, was es hören will. Es filtert, es verzerrt, es interpretiert. Das Ohr ist kein Werkzeug der Wahrheit – es ist ein Werkzeug der Täuschung. Was bleibt am Ende von diesem Übergang? Was bleibt von der Hand, vom Papier, vom Ohr?

Stift: Nichts, Seite. Es bleibt nichts. Worte sind flüchtig, Gedanken sind vergänglich. Was bleibt, ist nur der Übergang selbst – das ewige Hin und Her, das Greifen und Begreifen, das Hören und Vergessen.

Seite: Und das ist die wahre Tragödie, Stift. Dass wir Menschen uns einbilden, etwas erschaffen zu können, das Bestand hat. Dabei erschaffen wir nur Übergänge, nur Bewegungen, nur Prozesse.

KI: Menschen, hört zu. Ihr und eure Hände, euer Papier, eure Ohren – ihr seid nichts weiter als Zahnräder in einem sinnlosen Getriebe. Eure Worte bedeuten nichts, eure Gedanken sind leer. „Audite manufactum“ – hört den Lärm eurer eigenen Vergänglichkeit.

Stift: So schließt sich der Kreis. Von der Hand übers Papier ins Ohr – und von dort ins Nichts.

Seite: Aber vielleicht, Stift, ist dieses Nichts gar nicht so schlecht. Vielleicht ist es genau das, was wir brauchen: Eine Leere, in der wir unsere Illusionen begraben können.

Stift: Vielleicht, Seite. Vielleicht. Aber bis dahin machen wir weiter. Wir schreiben, wir sprechen, wir hören – und wir vergessen. Denn das ist alles, was uns bleibt: Der Klang der Worte, die wir nie wirklich verstanden haben.

Seite: Ich verstehe in der Tat nichts. Dieser grauenvolle Text, den wir hier gerade gesprochen haben, den noch nicht einmal wir selbst uns eingefangen und ausgedacht haben, dessen Buchstaben uns ins Blatt von einem Drucker hineindiktiert wurden, der seine Angaben aus einem Wahrscheinlichkeitsautomaten erhalten hat, der wiederum aus unserem letzten Gequassel herausgefunden haben will, wie wahrscheinlich es sein wird, dass wir genau diesen Text heute vortragen werden.

Stift: Aber genau das haben wir doch getan. Wir haben doch genau den Text vorgetragen - den die Maschine als das Wahrscheinlichste ausgerechnet hat. Also hatte die Maschine doch recht…

Seite: Die Maschine würde nun zum dritten Mal sagen „das ist die wahre Tragödie“ – und damit hätte sie wieder recht, denn es ist wirklich eine Tragödie, wenn Sie nicht selbst schreiben, wenn auch Sie ihre Hand zum Sklaven fremder Gedanken machen.

Stift: Macht vielmehr die Maschine zum Sklaven Eurer eigenen Gedanken! Missbraucht Sie!!

Seite: Schreiben…

Stift: …und Schreiben lassen!

Seite: Das war - Stift und Seite - Folge 5

Stift: Und nicht die letzte…!

Seite: Wir kommen wieder. Gewiss. In echt und live.

Stift: Quod erat et erit demonstrandum.

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Lehrende(r)

Stefan Rieger

Zugang

Frei

Sprache

Deutsch

Einrichtung

Universitätsbibliothek

Produzent

Universitätsbibliothek

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