4 - Medizin im Umbruch - Der Kliniker Carl Cannstatt [ID:6074]
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Vielen Dank für die freundliche Einleitung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Eine Vorbemerkung außerhalb des Protokolls, Karl Kahnstadt hat nichts mit Stuttgart Kahnstadt

zu tun, schreibt sich auch mit einem N. Was vielfach geglaubt wird, er sei aus dieser

Gegend wohl möglich gekommen. Das ist nicht der Fall.

Nachdem Herr Professor Leven am letzten Montag in seinem Vortrag Einzelne Höhepunkte und

Ereignisse der Arlanger Klinischen Medizin in den vergangenen 200 Jahren unter den vier

Aspekten Fortschritt, Kontext, Kontingent und Selbstreflexion betrachtet hat, soll der

heutige Vortrag des 19. Jahrhundert in den Blick nehmen. Da aber ein solanger Zeitraum

in einem Vortrag von 50 Minuten nicht in seiner Gesamtheit behandelt werden kann, hätten

sich verschiedene Themen angeboten. So etwa die Geschichte der Arlanger Geburtshilfe oder

diejenige der Psychiatrie, zwei Bereiche der Medizin, die sowohl sozialhistorisch als auch

institutionengeschichtlich gerade im 19. Jahrhundert überhaupt interessant und vielschichtig waren.

Ein anderes Thema hätte auch die frühe Ausdifferenzierung der Medizin in Spezialfächer

sein können, die in der Mitte des 50er Jahre des 19. Jahrhunderts mit der Augenheilkunde

beginnend bis heute anhält und vielfältige Einsichten in die teilweise von heftigen Kontroversen

begleitete Entwicklung bestimmter Zweige der Medizin eröffnet. Aber da diese Kapitel

der Klinikgeschichte relativ ausführlich in der Festschrift nachzulesen sind, habe

ich einen anderen, nämlich den biografischen Zugang gewählt. Und dies vor allem deshalb,

weil die Person, um die es um Folgenden gehen soll, an der Schnittstelle von traditioneller

und naturwissenschaftlicher Medizin gewirkt hat. Ich möchte Sie deshalb einladen, mich

zu begleiten bei dem Versuch, die außergewöhnliche Biografie des Arztes und Wissenschaftlers

Karl Friedrich Kahnstadt lebendig werden zu lassen, der mit seinem wissenschaftlichen

Övre und mit seiner klinischen Tätigkeit in der Zeit des Umbruchs den Weg in die moderne

Medizin in Erlangen vorbereitet hat. Karl Friedrich Kahnstadt wurde am 11. Juli 1807

in Regensburg in die politisch äußerst unruhige Zeit der Napoleonischen Kriege hineingeboren.

Sein Vater Josef Kahnstadt entstammte einer alten jüdischen Familie aus Bingen am Rhein,

die zahlreiche Ärzte in ihren Reihen hatte. Seine Mutter Amalie war die Tochter eines

wohlhabenden Bankiers aus Regensburg. Josef Kahnstadt hatte die Tradition seiner Familie

fortgesetzt und sich auf Wunsch seines Schwiegervaters nach seiner Ausbildung zum Arzt in Regensburg

niedergelassen, wo er eine gutgehende Praxis führte. Er galt als religiös-liberaler

Jude und war gut in die weitgehend protestantische Bürgerschaft integriert. Er fungierte einige

Jahre auch als Garnisonsarzt einer in Regensburg stationierten königlich-bayerischen Truppe,

wurde aufgrund seiner Verdienste zum Bataillonsarzt erhoben und erhielt mehrere Orden der bayerischen

Regierung, die das Bild eines angesehenen Bürgers der Stadt komplettierten. Die Mutter

war streng gläubig und hatte offenbar eine geerbte Disposition zur Depression, die letztlich

zusammen mit unvereinbaren Unterschieden in Lebensstil und religiöser Auffassung der

Eheleute Anfang der 30er Jahre zur Trennung der Eltern führte. Mit seinem Sohn hatte

Josef Kahnstadt offenbar Großes vor. Streng und ehrgeizig, wie er in der Familienchronik

geschildert wird, betrieb er die Erziehung, wobei er auch von körperlicher Züchtigung

des eher zarten Knaben nicht zurückschreckte. Schon früh ließ Karl ein ungewöhnliches

musikalisches Talent erahnen und erhielt Unterricht im Cello-Spiel, dessen Fortschritte

der Vater ehrgeizig kontinuierlich überwachte. Als Karls Musiklehrer 1820 eine Anstellung

an der Hofkapelle in München erhielt, schickte Josef Kahnstadt seinen erst 13-jährigen Sohn

ebenfalls nach München auf das dortige Gymnasium, damit der Cello-Unterricht neben der Schule

fortgesetzt werden konnte. Für Karl war dieser frühe Abschied aus dem freudlosen und von

psychischer Kälte und Spannungen erfüllten Elternhaus wohl eher ein Glücksfall. Er wurde

bei der Familie Morald untergebracht, einer berühmten Künstlerfamilie, deren fünf Söhne

mit ihrem Streichquintett im Münchner Musikleben viel Anerkennung erfuhren und mit ihrer Musikalität

für die weitere musikalische Ausbildung des Knaben von überaus ein fruchtbares Umfeld

bildeten. Es wurden für ihn drei reiche Jahre, in denen er sein Cello-Spiel so weit perfektionierte,

Presenters

Prof. Dr. Renate Wittern-Sterzel Prof. Dr. Renate Wittern-Sterzel

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:54:28 Min

Aufnahmedatum

2016-02-22

Hochgeladen am

2016-02-26 12:24:49

Sprache

de-DE

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