Vielen Dank für die freundliche Einleitung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Eine Vorbemerkung außerhalb des Protokolls, Karl Kahnstadt hat nichts mit Stuttgart Kahnstadt
zu tun, schreibt sich auch mit einem N. Was vielfach geglaubt wird, er sei aus dieser
Gegend wohl möglich gekommen. Das ist nicht der Fall.
Nachdem Herr Professor Leven am letzten Montag in seinem Vortrag Einzelne Höhepunkte und
Ereignisse der Arlanger Klinischen Medizin in den vergangenen 200 Jahren unter den vier
Aspekten Fortschritt, Kontext, Kontingent und Selbstreflexion betrachtet hat, soll der
heutige Vortrag des 19. Jahrhundert in den Blick nehmen. Da aber ein solanger Zeitraum
in einem Vortrag von 50 Minuten nicht in seiner Gesamtheit behandelt werden kann, hätten
sich verschiedene Themen angeboten. So etwa die Geschichte der Arlanger Geburtshilfe oder
diejenige der Psychiatrie, zwei Bereiche der Medizin, die sowohl sozialhistorisch als auch
institutionengeschichtlich gerade im 19. Jahrhundert überhaupt interessant und vielschichtig waren.
Ein anderes Thema hätte auch die frühe Ausdifferenzierung der Medizin in Spezialfächer
sein können, die in der Mitte des 50er Jahre des 19. Jahrhunderts mit der Augenheilkunde
beginnend bis heute anhält und vielfältige Einsichten in die teilweise von heftigen Kontroversen
begleitete Entwicklung bestimmter Zweige der Medizin eröffnet. Aber da diese Kapitel
der Klinikgeschichte relativ ausführlich in der Festschrift nachzulesen sind, habe
ich einen anderen, nämlich den biografischen Zugang gewählt. Und dies vor allem deshalb,
weil die Person, um die es um Folgenden gehen soll, an der Schnittstelle von traditioneller
und naturwissenschaftlicher Medizin gewirkt hat. Ich möchte Sie deshalb einladen, mich
zu begleiten bei dem Versuch, die außergewöhnliche Biografie des Arztes und Wissenschaftlers
Karl Friedrich Kahnstadt lebendig werden zu lassen, der mit seinem wissenschaftlichen
Övre und mit seiner klinischen Tätigkeit in der Zeit des Umbruchs den Weg in die moderne
Medizin in Erlangen vorbereitet hat. Karl Friedrich Kahnstadt wurde am 11. Juli 1807
in Regensburg in die politisch äußerst unruhige Zeit der Napoleonischen Kriege hineingeboren.
Sein Vater Josef Kahnstadt entstammte einer alten jüdischen Familie aus Bingen am Rhein,
die zahlreiche Ärzte in ihren Reihen hatte. Seine Mutter Amalie war die Tochter eines
wohlhabenden Bankiers aus Regensburg. Josef Kahnstadt hatte die Tradition seiner Familie
fortgesetzt und sich auf Wunsch seines Schwiegervaters nach seiner Ausbildung zum Arzt in Regensburg
niedergelassen, wo er eine gutgehende Praxis führte. Er galt als religiös-liberaler
Jude und war gut in die weitgehend protestantische Bürgerschaft integriert. Er fungierte einige
Jahre auch als Garnisonsarzt einer in Regensburg stationierten königlich-bayerischen Truppe,
wurde aufgrund seiner Verdienste zum Bataillonsarzt erhoben und erhielt mehrere Orden der bayerischen
Regierung, die das Bild eines angesehenen Bürgers der Stadt komplettierten. Die Mutter
war streng gläubig und hatte offenbar eine geerbte Disposition zur Depression, die letztlich
zusammen mit unvereinbaren Unterschieden in Lebensstil und religiöser Auffassung der
Eheleute Anfang der 30er Jahre zur Trennung der Eltern führte. Mit seinem Sohn hatte
Josef Kahnstadt offenbar Großes vor. Streng und ehrgeizig, wie er in der Familienchronik
geschildert wird, betrieb er die Erziehung, wobei er auch von körperlicher Züchtigung
des eher zarten Knaben nicht zurückschreckte. Schon früh ließ Karl ein ungewöhnliches
musikalisches Talent erahnen und erhielt Unterricht im Cello-Spiel, dessen Fortschritte
der Vater ehrgeizig kontinuierlich überwachte. Als Karls Musiklehrer 1820 eine Anstellung
an der Hofkapelle in München erhielt, schickte Josef Kahnstadt seinen erst 13-jährigen Sohn
ebenfalls nach München auf das dortige Gymnasium, damit der Cello-Unterricht neben der Schule
fortgesetzt werden konnte. Für Karl war dieser frühe Abschied aus dem freudlosen und von
psychischer Kälte und Spannungen erfüllten Elternhaus wohl eher ein Glücksfall. Er wurde
bei der Familie Morald untergebracht, einer berühmten Künstlerfamilie, deren fünf Söhne
mit ihrem Streichquintett im Münchner Musikleben viel Anerkennung erfuhren und mit ihrer Musikalität
für die weitere musikalische Ausbildung des Knaben von überaus ein fruchtbares Umfeld
bildeten. Es wurden für ihn drei reiche Jahre, in denen er sein Cello-Spiel so weit perfektionierte,
Presenters
Prof. Dr. Renate Wittern-Sterzel
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:54:28 Min
Aufnahmedatum
2016-02-22
Hochgeladen am
2016-02-26 12:24:49
Sprache
de-DE