- In der Forschung hat man im Zusammenhang mit dem 11. Jahrhundert von einer „Wendezeit“ gesprochen, im Kontext von wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten wie der Entwicklung des Handels gar von einer „ökonomischen“ oder „kommerziellen Revolution“. Tatsächlich ereigneten sich im Europa des 11. Jahrhunderts zahlreiche Veränderungen in verschiedenen Bereichen, die für die weitere historische Entwicklung des Kontinents von großer Wichtigkeit waren. Begünstigt durch den demographischen Wandel, bei dem die Modifizierung landwirtschaftlicher Anbaumethoden zu einer Zunahme der Bevölkerungszahl führten, intensivierte sich die Gründung von Städten und das Wachstum bereits vorhandener Ansiedlungen. Die zunehmend selbstbewusster werdenden städtischen Gemeinschaften wandten sich gegen den bischöflichen Stadtherren und suchten im Geist einer „kommunalen Freiheit“ diesem Rechte und Kompetenzen abzuringen. Zur gleichen Zeit trieb die Idee der „Freiheit der Kirche“, der „libertas ecclesiae“, Reformen voran, die auf die Zurückdrängung des Laieneinflusses im innerkirchlichen Bereich abzielten. Als diese geistige Bewegung auch das Papsttum erfasste, mündete sie in den sogenannten Investiturstreit und in die Auseinandersetzung zwischen den Päpsten und den römisch-deutschen Königen bzw. Kaisern. Am Ende des epochalen Konflikts sollte das Amt des Bischofs von Rom zu universaler Größe aufsteigen. Daneben fanden an den Rändern Europas wie in Skandinavien die Missionsbemühungen des 10. Jahrhunderts ihre Fortsetzung, während man in Spanien im Rahmen der Reconquista in eine neue Phase des Kampfes gegen die Muslime auf der iberischen Halbinsel eintrat. Am Ende des 11. Jahrhunderts gewann die Idee der Verteidigung des christlichen Glaubens im Zusammenhang mit der aufkommenden Kreuzzugsbewegung eine neue Dimension und Zielrichtung. Auch in politischer Hinsicht setzten sich Neuerungen durch, so etwa die Etablierung der neuen Reiche der Normannen in Süditalien und England. Die Vorlesung behandelt die genannten Gesichtspunkte ausgehend von der Geschichte des römisch-deutschen Reiches. Durch die Einbeziehung von kirchen-, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Aspekten und ihrer Wechselwirkung soll die Veranstaltung Einblicke in das 11. Jahrhundert in seiner Eigenständigkeit und seiner Einbettung in entwicklungsgeschichtliche Abläufe gleichermaßen gewähren.
- Empfohlene Literatur
- Michael Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt 1050-1250 (Handbuch der Geschichte Europas 3), Stuttgart 2002; Hans-Werner Goetz, Europa im frühen Mittelalter 500-1050 (Handbuch der Geschichte Europas 2), Stuttgart 2003; Hermann Jakobs, Kirchenreform und Hochmittelalter 1046-1215 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 7), München 4. Aufl. 1999; Hagen Keller, Zwischen regionaler Begrenzung und universalem Horizont. Deutschland im Imperium der Salier und Staufer 1024 bis 1250, Frankfurt am Main – Berlin 1990.