Die Theodizeefrage - die Rechtfertigung eines guten, allgegenwärtigen und allmächtigen Gottes und seiner Schöpfung im Angesicht des Bösen in der Welt - ist eine theologische und philosophische Debatte, die gerade im Angesicht großer Naturkatastrophen, bei denen tausende Unschuldiger ihr Leben lassen, immer wieder aufflackert und erbittert diskutiert wird. Das Erdbeben von Lissabon wird Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur zu einem Kristallisationspunkt dieser Debatte, sondern leitet auch einen philosophischen Paradigmenwechsel ein. War das 18. Jahrhundert bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend vom Optimismus Leibnizscher Prägung beeinflusst, so mehren sich nach dem Erdbeben (literarische) Stimmen, die das Konzept der "quot;besten aller möglichen Welten" skeptizistisch beleuchten oder gar ganz in Frage stellen. Ausgehend von Gottfried Wilhelm Leibniz" Essais de Théodicée (1710) und Alexander Popes Essay on Man (1733/34), den wohl bekanntesten Vertretern des Optimismus, beleuchtet der Vortrag die philosophische und literarische Verarbeitung des Theodizeeproblems im direkten Anschluss an die Ereignisse in Lissabon im November 1755. Neben den unmittelbaren Reaktionen auf das Erdbeben (u.a. Voltaires Poème sur le désastre de Lisbonne, 1755) stehen auch die literarischen "Nachbeben" auf dem Programm, Voltaires Candide ou l"Optimisme (1759), Samuel Johnsons Rasselas, Prince of Abissinia (1759) und Oliver Goldsmiths The Vicar of Wakefield (1766).