Nachbar wegen Lärm erstochen. Fast 9 Jahre Haft. Haftung des Tech-Wondo-Trainers für Schäden einer Schülerin nach Schlag im Wettkampftraining. Nachbarrecht. Unzulässige Videoüberwachung bei schwenkbarer Kamera. Kündigung war rechtmäßig. Handwerksmeister wollte keine rote Arbeitslose tragen. Augenverletzung durch Preisschild bei Kleideranprobe. Kein Schmerzensgeld. Kollege hatte herumgeschnupft. Corona-Infektion als Arbeitsunfall. Entschuldigung, das geht aber gar nicht. Ob Streit mit den Nachbarn, dem Arbeitgeber oder dem nächstbesten Falschparker auf der Straße. Manchmal muss man doch in Auseinandersetzungen einfach mal zu drastischen Mitteln greifen. Die Lieblingslösung der Deutschen? Die Anzeige. Und spätestens seit dem selbst deklarierten Anzeigenhauptmeister ist es kein Geheimnis mehr, dass die braven Bürger in Deutschland misse Taten nicht auf die leichte Schulter nehmen. In unserem Podcast, Kleine Verbrechen, keine Verbrechen, fühlen meine Kollegin Paula und ich, Alice, zwei solcher Übeltaten auf den Zahn und legen die Fakten auf den Tisch. Also los, schnappt euch ein Getränk eurer Wahl und lasst euch in den nächsten paar Minuten von Alice und mir in eine Welt der deutschen Alltagsverbrechen führen. Unser erster Fall führt uns in die Kleinstadt Gelnhausen in Hessen. Man könnte meinen, dort ist die Welt noch in Ordnung, doch der Eindruck täuscht. In der Kleinstadt liegen die Nerven von zwei Nachbarn schon seit Jahren blank. Eigentlich nichts ungewöhnliches in Deutschlands Vorgärten. Doch aufgrund von anhaltenden Streitigkeiten hatte der Eigentümer des einen Grundstücks, nennen wir ihn Nachbar A, die Faxendicke und installierte eine schwenkbare Sicherheitskamera auf seinem Grundstück. Das ist zwar keine Seltenheit in der heutigen Zeit, Nachbar B kam das aber ganz und gar nicht gelegen, denn er war der Meinung, dass die Kamera auch sein Haus filmen würde. Er fühlte sich von seinem Nachbarn kontrolliert und beobachtet. So kam zuerst ein anwaltliches Schreiben mit einer Unterlassungserklärung zu Nachbar A ins Haus geflattert. Klar, das wäre wohl von jedem der erste Schritt. Nachbar A leugnete jedoch, dass dieser auch das benachbarte Wohnhaus filmen würde. Allerdings stellte Nachbar B daraufhin prompt den Antrag auf eine einstweilige Verfügung, um dem Treiben ein Ende zu bereiten. Tatsächlich war die Kamera von den Balkonen des Hauses aus zu sehen. Ob diese jedoch wirklich auf die Aufnahmen kamen, blieb unklar. Am Ende trafen sich die beiden, wo auch sonst, vor dem Amtsgericht Gelnhausen wieder, welches am 4. März 2024 ein Urteil sprach. Wie das Urteil ausging und begründet wurde, besprechen wir nun in unserem Faktencheck. In der Rechtsprechung kommt es in diesem Fall gar nicht darauf an, ob die Kamera das Nachbargrundstück tatsächlich filmen konnte. Entscheidend waren dabei zwei Punkte. Zum einen ist es für einen Unterlassungsanspruch erforderlich, dass ein Überwachungsdruck erzeugt wird. Das heißt, dass dritte Personen, in diesem Fall also der Kläger, eine Überwachung durch die Kamera ernsthaft objektiv zu befürchten hat. Durch die früheren Streitigkeiten der beiden Nachbarn wurde dieser Umstand vom Amtsgericht Gelnhausen als gegeben angesehen. Der zweite Punkt, der dem Angeklagten zum Verhängnis wurde, ist die Art der Kamera selbst. Es handelt sich um ein Modell, das elektronisch geschwenkt werden, also automatisch auf das Nachbargrundstück ausgerichtet werden kann. Dies konnte Nachbar B auch anhand eines Fotos beweisen. Es war also nicht wichtig, ob tatsächlich Aufnahmen angefertigt wurden, das bloße Potenzial war schon ausreichend. Hinzu kam der Fakt, dass eine weitere Eskalation der ohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen den beiden vermieden werden sollte. Dadurch konnte der Kläger seinen Unterlassungsanspruch gemäß der Paragraphen 1004 und 823 Absatz 1 des BGB gegen seinen Nachbarn geltend machen. Der Angeklagte hat natürlich ein Recht darauf, sein Eigentum zu schützen. Diese Konsequenzen hätten vermieden werden können, wenn er stattdessen eine Kamera benutzt hätte, die nun mit einem – Zitat – erheblichen und sichtbar manuellen Aufwand – Zitat Ende – auf das Nachbarhaus gerichtet werden könnte. So aber wurde das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers beeinträchtigt. Unser zweiter Fall trägt sich im April 2023 in München zu. In der geschäftigen Stadt verletzt sich eine Kundin, Altzi – und hier wird es wichtig – bei ihrem Einkaufsbummel in einem Outlet Store ein T-Shirt anprobiert. Die umsichtige Kundin übersah dabei nämlich das Preisschild des T-Shirts, welches sich jedoch kurz darauf tückisch und im wahrsten Sinne des Wortes in ihr rechtes Auge und damit in ihr Gedächtnis bohrte. Die geschädigte Kundin musste sich laut eigenen Angaben einer Hornhauttransplantation unterziehen und behielt noch weitere Schäden in Form von Lichtempfindlichkeit, weiteren Schmerzen und einer eingeschränkten Sicht von dem Vorfall. Daraufhin wandte sich die Geschädigte selbstredend an die Gesetzeshüter des Amtsgerichts München und forderte ein Schmerzensgeld von nicht weniger als 5.000 Euro ein. Weiter dachte die umsichtige Kundin zudem an alle potenziellen Schaden tragenden nach ihr und forderte zudem einen entsprechenden Hinweis auf ein Preisschild an der Kleidung des Outlet Stores, welches – so weiter die Begründung unserer besorgten Kundin – eine Gefahr dargestellt hätte. Der Betreiber des Outlet Stores hätte hier seine Verkehrssicherungspflichten missachtet, indem er seine Kundin nicht explizit darauf aufmerksam machte, dass an der von ihm vertriebenen Kleidung tatsächlich auch Preisschilder befestigt sind. Der Betreiber auf der Gegenseite wies als Antwort jegliche Vorwürfe von sich. Die Standardgröße für Preisschilder, die es im Staate Deutschland natürlich gibt – 9 x 5 Zentimeter sind es übrigens für alle Interessierten – sei eingehalten worden. Durch die abgerundeten Ecken des Preisschildchens sei eine gute Fühlbarkeit insgesamt uneingeschränkt gewährleistet gewesen. Wer nun Recht hatte, entschied das Gericht sicherlich nach einiger Überlegung am 28. Mai. Es entschied sich dazu, die Klage abzuweisen. Einen Schadensersatz steht der klagenden Kundin nicht zu. Aber wieso wurde so entschieden? Unter der Voraussetzung, dass sie sich die Verletzung so zugezogen hat und das eben auch beweisen kann, liegt da nicht zumindest eine Teilschuld beim Outlet Store? Das erforschen wir in unserem Faktencheck. Im Grunde besagt die sogenannte Verkehrssicherheitspflicht, dass jemand, der eine Gefahrenquelle schafft, sich bis zu einem gewissen Grad auch darum zu kümmern hat, dass andere vor Schäden bewahrt werden. Sichernde Maßnahmen müssen nämlich nur insoweit ergriffen werden, wie sie ein umsichtiger, verständiger und vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend erachtet. Das Nichteinhalten dieser Pflicht kann zu Schadensersatzansprüchen nach § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches führen. Darauf hatte sich die Klägerin auch berufen. Es spielt nämlich auch eine Rolle, inwieweit die Geschädigte, also unsere Frau mit dem T-Shirt, die Möglichkeit hatte, sich vor erkennbaren Gefahrenquellen selbst zu schützen. Hier hatte das Gericht entschieden, dass sie anhand von ihrer Lebenserfahrung ein Preisschild erwarten und so selbst darauf hätte achten können, dass sie sich nicht verletzt. Die Forderung nach einem Hinweis auf Preisschildern wurde zudem als lebensfremd und nicht zumutbar eingestuft. Also muss der Geschäftsbetreiber nicht gegen sämtliche Eventualitäten gebappnet sein und hat so seine Pflichten in keinster Weise verletzt. Ach es ist jedes Mal ausneu wieder spannend zu sehen, über was sich die Deutschen so aufregen. Nicht jede Missetat oder Fahrlässigkeit zählt direkt als Verbrechen. Jedoch sieht man, dass man sich gut informieren sollte, denn durch kleine Details wie eine automatische Schwenkfunktion der Kamera kann man die Rechte seiner Mitmenschen verletzen. Darum überlegt euch gut, wer eine Anzeige verdient, denn ehe ihr euch verseht, kann euch dasselbe Schicksal blühen. Und die Moral von der Geschichte, eine Anzeige, die braucht es oft nicht. Mit diesem Gedanken verabschieden wir uns. Ein großer Dank an das gesamte Team, das zu diesem Podcast beigetragen hat. Vivian Enris für die Recherche der Fälle und der Faktenchecks sowie Elana Pichler für das Verfassen des Skripts. Danke auch Annaliese Gerd und Paula Gnebuch für die wunderbare Moderation und den Schnitt des Podcasts. Die Quellen für alle, die mehr wissen wollen, findet ihr in der Beschreibung unter dem Podcast.